Indiens Textilindustrie erlebt einen „Schmetterlingseffekt“, der durch die Baumwolllieferkette ausgelöst wird. Als weltweit größter Exporteur von Baumwollstoffen ist der Rückgang der Baumwollstoffexporte Indiens im zweiten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 8 % auf einen Anstieg der inländischen Baumwollpreise aufgrund der reduzierten Produktion zurückzuführen. Daten zeigen, dass die Spotpreise für Baumwolle in Indien von Anfang 2024 bis zum zweiten Quartal um 22 % gestiegen sind, was die Produktionskosten für Baumwollstoffe direkt in die Höhe treibt und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes auf dem internationalen Markt schwächt.
Welleneffekte hinter der reduzierten Produktion
Der Rückgang der indischen Baumwollproduktion ist kein Zufall. Während der Pflanzsaison 2023/24 litten wichtige Anbaugebiete wie Maharashtra und Gujarat unter ungewöhnlichen Dürren, was zu einem Rückgang des Baumwollertrags pro Flächeneinheit um 15 % gegenüber dem Vorjahr führte. Die Gesamtproduktion sank auf 34 Millionen Ballen (170 kg pro Ballen), den niedrigsten Stand der letzten fünf Jahre. Der Rohstoffmangel führte unmittelbar zu Preissteigerungen, und die Baumwolltuchhersteller haben eine schwache Verhandlungsmacht: Kleine und mittlere Textilfabriken machen 70 % der indischen Textilindustrie aus und haben Schwierigkeiten, die Rohstoffpreise durch langfristige Verträge zu fixieren, sodass sie Kostentransfers hinnehmen müssen.
Die Reaktion auf dem internationalen Markt ist sogar noch deutlicher. Angesichts der Abwanderung von Konkurrenten wie Bangladesch und Vietnam gingen Indiens Exportaufträge für Baumwollstoffe in die EU und die USA um 11 bzw. 9 Prozent zurück. EU-Käufer tendieren eher nach Pakistan, wo die Baumwollpreise aufgrund einer Rekordernte stabil bleiben und die Notierung für vergleichbare Baumwollstoffe 5 bis 8 Prozent niedriger ist als in Indien.
Ein politisches Toolkit zur Überwindung der Sackgasse
Angesichts dieser misslichen Lage zeigt die Reaktion der indischen Regierung eine duale Logik: „Kurzfristige Nothilfe + langfristige Transformation“:
- Abschaffung der Einfuhrzölle auf Baumwollgarn: Wird diese Maßnahme umgesetzt, befreit Indien importiertes Baumwollgarn vom derzeitigen Grundzoll von 10 % und einer Zusatzsteuer von 5 %. Nach Schätzungen des indischen Textilministeriums können durch diese Maßnahme die Kosten für Baumwollgarnimporte um 15 % gesenkt werden. Die monatlichen Baumwollgarnimporte dürften dadurch um 50.000 Tonnen steigen, wodurch 20 % der inländischen Rohstofflücke geschlossen und der Rohstoffdruck auf die Baumwolltuchhersteller gemindert wird.
- Auf recycelte Baumwolle setzen: Die Regierung plant, im Rahmen des „Recycled Fiber Export Incentive Program“ einen Zollrabatt von 3 % auf den Export von recycelten Baumwollstoffen zu gewähren und mit Branchenverbänden zusammenzuarbeiten, um ein Zertifizierungssystem für die Qualität von recycelter Baumwolle zu etablieren. Derzeit machen Indiens Exporte von recycelten Baumwollstoffen weniger als 5 % aus, während der globale Markt für recycelte Textilien jährlich um 12 % wächst. Es wird erwartet, dass die politischen Dividenden die Exporte dieser Kategorie im Jahr 2024 auf über 1 Milliarde US-Dollar ansteigen lassen.
Ängste und Erwartungen der Branche
Textilunternehmen beobachten die Auswirkungen der Maßnahmen noch immer aufmerksam. Sanjay Thakur, Präsident des Verbands der indischen Textilindustrie, betonte: „Eine Zollsenkung kann dem dringenden Bedarf zwar gerecht werden, doch der Transportzyklus importierter Baumwollgarne (45–60 Tage für Importe aus Brasilien und den USA) kann die Unmittelbarkeit der lokalen Lieferkette nicht vollständig ersetzen.“ Entscheidender ist, dass sich die internationale Nachfrage nach Baumwollstoffen von der Priorität „niedriger Preis“ zur Priorität „Nachhaltigkeit“ verlagert – die EU hat gesetzlich festgelegt, dass der Anteil recycelter Fasern in textilen Rohstoffen bis 2030 nicht unter 50 % liegen darf, was die Kernlogik hinter Indiens Förderung des Exports recycelter Baumwolle ist.
Die durch Baumwolle ausgelöste Krise könnte Indiens Textilindustrie zu einer beschleunigten Transformation zwingen. Wenn kurzfristige politische Puffer und langfristige Kurswechsel eine Synergie bilden, wird die Frage, ob Indiens Exporte von Baumwollstoffen ihren Rückgang stoppen und sich in der zweiten Jahreshälfte 2024 erholen können, ein wichtiges Fenster zur Beobachtung der Umstrukturierung der globalen Textillieferkette sein.
Beitragszeit: 05.08.2025